Theologen


Theologische Stellungnahmen zur Problematik von Geld, Zins und Bodeneigentum
(in chronologischer Reihenfolge)

Friedrich Naumann

„Es ist bekannt, welche große Rolle im ganzen Mittelalter das auf Lukas 6.35 gegründete Zinsverbot gehabt hat. Die mittelalterliche Auslegung der betreffenden Bibelstelle war irrig, wie sie denn auch Luther in seinen ‚Sermonen vom Wucher’ aufgibt; auch die religiös-gesetzliche Art des Zinsverbots ist für alle Zeit überwunden. Aber wir zweifeln nicht daran, dass eine Zeit kommen wird, wo sich eine christliche Bewegung wieder gegen den Zins erheben wird im Sinne evangelischer Freiheit nach dem Wort Luthers: ‚Es gebührt Christenmenschen nichts anderes, denn Geben und Leihen umsonst.’ Es ist nicht anzunehmen, dass Christi Worte über das Leihen in der evangelischen Christenheit dauernd ein toter Wortbestand bleiben sollten. Erst wenn der Geist der christlichen Liebe sich an die Frage der Kapitalausnutzung heranwagt, wird das Christentum in der modernen Welt seine Hauptprobe bestehen.“
Das soziale Programm der Evangelischen Kirche, Erlangen und Leipzig 1891, S. 165-166.

 

Christoph Blumhardt

„Das Kapital ist der Tyrann der heutigen Menschen. Es spielt erst seit etwa 100 Jahren diese Rolle, dass der Mensch ohne Geld absolut gar nichts ist. Land und Wald waren früher nicht ein Kapital. In unserer Zeit wird alles zu Geld, alles wird danach geschätzt. Der Teufel des Kapitals, die Spekulation, kommt überall hin. Und zuletzt kommen wir in Verschuldung. Das ist die Herrschaft des Kapitals. Christus will nichts von dieser Kapitalwirtschaft wissen. In Christi Reich muss das Geld auch eine Rolle spielen, aber keine größere als das Leben. Das Geld dem Leben und nicht das Leben dem Geld! … In unserem zukünftigen Reich wird nicht mehr das Geld benützt werden können zur Unterdrückung der anderen.“
aus: Johannes Harder, Christoph Blumhardt – Ansprachen, Predigten, Reden, Briefe | Band 2 (1896-1906), Neukirchen 1978, S. 194-195.

 

Prof. Dr. Johannes Ude

„Wer also für die ausbeutungsfreie Wirtschaft einsteht, und dafür soll doch jeder Christ einstehen, der kommt nach unserer Überzeugung um das Freigeld nicht herum. … Die Freiwirtschaftslehre ist also gesellschaftlich, wirtschaftlich und kulturell von geradezu grundlegender Bedeutung.“
Das Geld – Sein Einfluss auf Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur, Gams/Schweiz 1935, S. 172 und 242.

 

Prof. Dr. Karl Barth

“Die Christengemeinde muss - frei von aller falschen Unparteilichkeit - auch im politischen Raum vor allem nach unten blicken. Es sind die nach ihrer gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Stellung Schwachen, es sind die Armen, für die sie sich immer vorzugsweise einsetzen, für die sie die Bürgergemeinde besonders verantwortlich machen wird. Dass sie ihnen im Rahmen ihrer eigenen Aufgabe (in Form ihrer ‚Diakonie’) Liebe zuwendet, ist Eines, und zwar ihr Erstes, über dem sie aber - nun im Rahmen ihrer politischen Verantwortung - das Andere nicht versäumen kann: den Einsatz für eine solche Gestaltung des Rechts, die es ausschließt, dass seine Gleichheit für alle zum Deckmantel werde, unter dem es für Starke und Schwache, selbständig und unselbständig Erwerbende, Reiche und Arme, Arbeitgeber und Arbeitnehmer faktisch doch ungleiche Begrenzung und ungleiche Bewahrung bedeutet. Die Christengemeinde steht im politischen Raum notwendig im Einsatz und Kampf für die soziale Gerechtigkeit. Und sie wird in der Wahl zwischen den verschiedenen sozialistischen Möglichkeiten (Liberal-Sozialismus? Genossenschaftswesen? Syndikalismus? Freigeldwirtschaft? Gemäßigter – Radikaler Marxismus?) auf alle Fälle die Wahl treffen, von der sie jeweils das Höchstmaß von sozialer Gerechtigkeit erwarten zu sollen glaubt.“
Christengemeinde und Bürgergemeinde, Stuttgart 1946, S. 34-35.

„Wo nicht der Mensch, sondern das zinstragende Kapital der Gegenstand ist, dessen Erhaltung und Mehrung der Sinn und das Ziel der politischen Ordnung ist, da ist der Automatismus schon im Gang, der eines Tages die Menschen zum Töten und Getötetwerden auf die Jagd schicken wird.“
Die kirchliche Dogmatik Band III/4, Zürich 1951, S. 525.

Prof. Dr. Leonhard Ragaz

„Das Verbot des Zinses ist nicht bloß eine einzelne wirtschaftlich-soziale Maßregel, sondern ein gewaltiges Prinzip: die Verhinderung der Geldherrschaft. In diesem Sinne geht das Zinsverbot durch die christliche Kultur. … Es gilt in der ganzen altchristlichen Zeit und im Mittelalter. Zinsnehmen bleibt Wucher. Erst die kirchliche Reformation und die weltliche Renaissance heben das Zinsverbot auf und öffnen damit jener Entwicklung zum Kapitalismus die Bahn, welche die Geldherrschaft zuletzt auf den Gipfel bringt, Gott und den Menschen durch den Mammon verdrängend.
   Es ist ein Erwachen der Revolution des Mose, wenn die Freigeldbewegung wieder das Zinsproblem im Sinne der Beseitigung des Zinses auf den Leuchter gestellt hat. In diesem Sinne darf man das Buch von Silvio Gesell „Die Natürliche Wirtschaftsordnung“ neben „Das Kapital“, „Fortschritt und Armut“ und „Das Ur-Eigentum“ stellen.“
Die Bibel - eine Deutung Band 2, Zürich 1947, S. 133-134.

 

Dr. Kurt Scharf

„Die Thesen der Bodenreform und des Freilandes richteten sich gegen die Bodenspekulation, gegen die unverdienten Gewinne von Besitzern günstig gelegener Grundstücke und die Verarmung breiter, vom Grundbesitz ausgeschlossener, arbeitender Bevölkerungsgruppen. Die Thesen des Freigeldes von Silvio Gesell richteten sich gegen den Kreditkapitalismus. In der Wirtschaftskrise nach dem ersten Weltkrieg wurden die Thesen beider in den Parteien und an den Universitäten leidenschaftlich diskutiert. Wir jungen Studenten, gerade auch wir Theologiestudenten, drängten auf ihre Verwirklichung. … Gottes Angebote durchbrechen neu und immer wieder die Selbstsucht der Besitzenden und die Mutlosigkeit breiter Mehrheiten. Im letzten Jahrhundert rechne ich zu den Flutwellen, die von biblisch-prophetischer Lehre ausgelöst worden sind, die Bewegungen des religiösen und humanen Sozialismus und auch die Vorschläge zur Bodenreform Damaschkes und zu dem Freiland und Freigeld Gesells.“
in: Deutscher Evangelischer Kirchentag (Hg.), Dokumente des Kirchentags in Düsseldorf 1985, S. 133-134 und 139.

 

Prof. Dr. Ulrich Duchrow

„Haben wir es beim gegenwärtigen Weltwirtschaftssystem mit einer besonderen Bekenntnisfrage wie im Fall des Nationalsozialismus und der Apartheid zu tun? Müssen wir uns in diesem Sinn zu einer eindeutig bekennenden Kirche entwickeln? … Dies ist eine Lebensfrage der Kirche, deren Langzeitwirkung ähnlich wie die ihres Versagens vor der Arbeiterfrage im 19. Jahrhundert sein wird. … Hier müssten sich Kirchen und Theologie ins Detail der multinationalen Wirtschaft hineinbegeben. Es handelt sich um die Frage des Glaubensgehorsams, wenn es um die Frage Mammon geht. … Heute hat die Geldwirtschaft eine fast totale Macht. … Die Völker der Erde müssen sich gemeinsam auf die Suche nach Alternativen für das Leben der Menschen und der Erde machen. Freilich, im Blick auf die Weltwirtschaft drängt die Zeit. Die Menschen sterben zu Millionen und das Kirchesein der Kirche verdunkelt sich immer mehr, solange sie den ‚Massenmord unserer Tage’ stillschweigend oder nur mit Lippenbekenntnissen hinnimmt.“
Weltwirtschaft heute - Ein Feld für Bekennende Kirche? München 1986, S. 17, 86, 143, 223 und 226.

 

Wilhelm Haller

„Wie der Krankheitsherd der internationalen Schuldenkrise jedem Einsichtigen deutlich macht, muss auch die Frage nach der Berechtigung des Anspruchs auf Geldvermehrung durch Zins und Zinseszins gestellt werden. … Das Prinzip von Zins und Zinseszins, das die Grundlage unseres ganzen Geld-, Kapital- und Finanzsystems liefert, führt immer dann zu exponenziellem Wachstum von Geldvermögen einerseits und Schulden andererseits, wenn einerseits die Besitzer von Geldvermögen mehr Zinsen einnehmen als sie verbrauchen, so dass auch der Zins wieder zinsbringend angelegt werden kann und muss, und andererseits die Schuldner mehr Zinsen zahlen müssen als sie trotz Einschränkung des Lebensstandards aufzubringen imstande sind, so dass die nicht bezahlten Zinsen den Schulden zugeschlagen und damit selbst zinspflichtig werden. Angesichts dieser zwingenden Gesetzmäßigkeit muss man sich wundern, wie die Zinsfrage mit ihren tödlichen Konsequenzen solange in unserer Gesellschaft tabuisiert werden konnte.“
in: Die heilsame Alternative - Jesuanische Ethik in Wirtschaft und Politik, Wuppertal 1989, S. 84 ff.

Prof. Dr. Peter Knauer

„Der Zinssatz stellt den Maßstab dafür dar, ob eine Investition überhaupt als lohnend anzusehen ist. … Es empfiehlt sich deshalb, das Phänomen der Zinsträchtigkeit des Geldes näher zu untersuchen. …
   Geld dient als ein universaler Tauschmittler. Es hat im Handel eine Art Jokerfunktion. Beim Kartenspiel versteht man unter einem „Joker“ eine Karte, die jede andere Karte sticht bzw. ersetzt. Ähnlich ist im Handel Geld eine Ware, die gegenüber allen anderen Waren grundsätzlich im Vorteil ist. …
   In Wirklichkeit sind diese Zinsen jedoch der Kaufpreis für den Jokernutzen des Geldes. Da man den Jokernutzen nicht beseitigen kann, ohne die Institution des Geldes überhaupt abzuschaffen, sind Zinsverbote sinnlos. Man erreicht damit höchstens, dass Geld … der Zirkulation ganz entzogen würde. …
   Es handelt sich um einen Systemfehler, der immer wieder Krisen verursacht und zum Absturz des ganzen Systems führen kann. Um mit diesem Systemfehler überhaupt leben zu können, ist unsere Wirtschaft zu ständigem exponentiellen Wachstum gezwungen. Aber kein System kann bei ständig exponentiellem Wachstum irgendeiner seiner Größen auf Dauer existieren. Durch den Zinseszinseffekt werden gerade die Schulden der Entwicklungsländer zu einer Lawine, die sich kaum aufhalten lässt. Schuldennachlass und Umschuldung bringen noch keine grundsätzliche Abhilfe.
   Es wäre prinzipiell denkbar, das gesamte monetäre System von der Wurzel her zu ändern. Man könnte ein Geld schaffen, dessen Jokernutzen durch eine mit dem Geldbesitz pro Zeiteinheit verbundene Abgabe an die Staatskasse ausgeglichen würde. … Gegenwärtig kann man den Jokervorteil, der durch gesamtgesellschaftliche Leistung zustande kommt, auf eigene Rechnung verkaufen, ohne dafür etwas anderes leisten zu müssen als damit aufzuhören, das Tauschmittel Geld dem Verkehr zu entziehen. Dem würde die Einführung von Kosten für Kassehaltung abhelfen.“
Wer bezahlt den Jokervorteil? – Über Dieter Suhrs Vorschläge zur besseren Nutzung des Geldes, in: Die Neue Gesellschaft – Frankfurter Hefte Nr. 1/1989, S. 41-49. – Vgl. auch  http://www.peter-knauer.de/geldknick.pdf   und    http://www.peter-knauer.de/finanzkrise.pdf 

 

Weltkonvokation des ÖRK zum Konziliaren Prozess in Seoul/Korea 1990

„Affirmation VIII: Wir bekräftigen, dass die Erde Gott gehört. Das Land und die Gewässer bedeuten Leben für die Menschen. Doch Millionen sind ihres Landes beraubt und leiden unter der Verschmutzung des Wassers; ihre Kultur, ihre Spiritualität und ihr Leben werden zerstört. … Sie warten auf die Erfüllung der Verheißung, dass die Armen das Land bekommen werden.
   Wir bekräftigen deshalb, dass das Land Gott gehört. … Wir werden jeder Politik widerstehen, die Land als bloße Ware behandelt, die Spekulation auf Kosten der Armen erlaubt, die Giftmüll auf das Land und ins Wasser entlädt, die Ausbeutung, ungleiche Verteilung und Verseuchung des Landes und seiner Erzeugnisse fördert und die jenen, die unmittelbar von der Nutzung des Landes leben, die Verfügungsgewalt darüber vorenthält.
   Wir verpflichten uns zur Solidarität mit Urvölkern, die um ihre Kultur, ihre Spiritualität und ihre Rechte auf Grund und Boden sowie auf Gewässer kämpfen, und mit Landarbeitern und mit armen Bauern, die sich für eine Bodenreform einsetzen.“
Evangelischer Pressedienst Nr. 16/1990, S. 16-17.

 

Prof. Dr. Pinchas Lapide

„Wie war das Verhältnis Jesu von Nazareth zum Geld? Es herrscht die Auffassung vor, dass er dem Mammon total abhold war und alle Finanzgeschäfte ganz unzweideutig und rigoros verdammt habe. Weit gefehlt!! … Gegen einen gerechten Umgang mit Geld und Mitwirkung im Wirtschaftsleben hatten Jesus und die Pharisäer (der ja einer der ihren war) nichts einzuwenden - unter der Bedingung allerdings, dass die Fürsorge für die Randsiedler der Gesellschaft dabei nie zu kurz kommen dürfe. … Wogegen alle Rabbinen vehement zu Felde zogen, war finanzielle Korruption, Habgier, Geiz und Neid.
   Eine in weiten christlichen Kreisen missverstandene Aussage Jesu ist seine angebliche Empfehlung, sorglos zu sein wie die Vögel des Himmels und in den Tag hinein zu leben wie die Lilien des Feldes. (Mt 6) … Aus all seinen Gleichnissen spricht eine große Liebe für die Schöpfung und genaue Kenntnis der Natur. Er wusste so gut wie wir alle, dass die Vögel sehr eifrig und emsig für den morgigen Tag sorgen, indem sie beispielsweise ihre Nester mühselig Halm um Halm vorbereiten und bauen. Was meinte Jesus also mit diesem Bilde? ‚Nestbauen’ schon, aber keine Zweit- und Dritt-Nester! Von einem In-den-Tag-Hineinleben kann keine Rede sein; aber auch nicht vom gierigen ‚Hamstern’.
   Ähnlich verhält es sich mit Jesu ‚Blumengleichnis’. Wie fleißig ist doch unsere Lilie, wenn man es genauer betrachtet, wie sie ihr Wasser und den benötigten Stickstoff aus dem Erdreich heraufsaugt und mit Hilfe eines genialen Prozesses der Fotosynthese das Sonnenlicht verwertet. Also äußerst kreativ ist sie sogar und unermüdlich noch dazu. ‚Hamstern’ aber tut auch sie nicht - und harrt, offensichtlich voll Gottvertrauen, dem nächsten Tag entgegen.“
Jesus, das Geld und der Weltfrieden, Gütersloh 1991, S. 17-18.

 

Prof. Dr. Jürgen Moltmann

„Die Welt als Schöpfung Gottes zu verstehen, bedeutet gerade nicht, sie als Welt des Menschen anzusehen und in Besitz zu nehmen. Ist die Welt Gottes Schöpfung, dann bleibt sie sein Eigentum und kann von Menschen nicht in Besitz genommen werden, sondern nur als Leihgabe empfangen und treuhänderisch verwaltet werden. Sie ist nach den Maßstäben der göttlichen Gerechtigkeit zu behandeln, nicht nach den Wertvorstellungen menschlicher Machtentfaltung.“
Gott in der Schöpfung – Ökologische Schöpfungslehre, Gütersloh 4. Aufl. 1993, S. 45.

Dr. Christoph Körner

„Von Seiten der Theologie ist zu fragen, ob die Religion der Wirtschaft nicht eine Anti-Religion zur biblischen ist und ihre Lebensfeindlichkeit verdeutlicht werden muss. … Indem der (pseudo)sakramentale Charakter der modernen Wirtschaft erkannt und benannt wird, besteht auch die Möglichkeit, die Wirtschaft wieder zu entsakramentalisieren. Dies könnte geschehen, indem durch eine neue Wirtschaftsordnung ein ‚neutrales Geld’ geschaffen wird, das seine magische Kraft verliert, indem es von der Funktion des Schatzmittels befreit und allein auf seinen Gebrauch als Tauschmittel und Wertmesser beschränkt wird. Freilich müsste die Geldreform mit einer Boden- und Steuerreform gekoppelt werden, die uns zu einem anderen Umgang mit den Gütern der Natur bewegt. Die biblische Weisheit, dass die Erde Gott gehört und ebenso die Bodenschätze und Geschöpfe, die auf der Erde wohnen (Ps. 24.1), sollte wieder beherzigt werden.
   Begann die Sakramentalisierung der Wirtschaft gerade im 16. Jahrhundert mit der Säkularisierung des christlichen Geschichtsdenkens und der Entsakramentalisierung (Entheiligung) der Natur durch die jüdisch-christliche Welttranszendenz, so kann heute die biblische Sicht von der Heiligkeit der Schöpfung zur notwendigen Entsakramentalisierung der Wirtschaft führen. Indem die Wirtschaft entsakramentalisiert und das Geld seiner Fetischrolle beraubt wird, wird das Leben selbst wieder als die heilige Gabe erfahren und der Mensch kann sich in dem Leben als Ebenbild Gottes wieder finden.“
Zur metaphysischen Rolle des Geldes in der modernen Wirtschaft, in: Zeitschrift für Sozialökonomie 102./103. Folge (1994), S. 10-11.

 

Prof. Dr. Dorothee Sölle & Prof. Dr. Luise Schottroff

“Die Erde gehört Gott, wie der Psalm sagt. Gott hat sich in der Schöpfung in die Erde hineinbegeben, so dass wir sagen können: Die Erde ist heilig. Wir besitzen sie nicht, sind nicht ihre Herren. …
   Gott achtet die Erde, respektiert ihren Raum, das Land und ihre Zeit, den Rhythmus der Natur. Wenn wir lernen, die Schöpfung zu lieben, dann müssen wir den eigenen Naturimperialismus verlernen und aufhören, als Besitzer zu produzieren und die Erde als eine käufliche Ware zu behandeln, als ob wir mehr von ihr produzieren könnten. Als ob das Ufer eines Sees nicht Gott ghörte und seinen Menschen, sondern dem privaten Villenbesitzer, als ob der Wald neben einer Großstadt nicht Gott gehörte und seinen Menschen, sondern dem Militärapparat, der mehr Platz zum Kriegspielen braucht. …
   Die Erde gehört nicht denen, die Land gekauft oder sich angeeignet haben, sondern einem anderen Eigentümer, der schon früher da war und verantwortlich ist auch für spätere Generationen. …
   In irgendeiner Weise wird jede bäuerliche Bevölkerung, die von der Erde und ihrer Handarbeit auf der Erde lebt, das Land als Leihgabe verstehen. Denn sonst geht die Erde kaputt. Sie ist ein lebendiges Wesen, das atmet und duftet und Ruhe braucht. Sie gehört Gott, er borgt sie den Menschen.
   Der Boden gehört nicht mehr Gott, und nur noch wenige Bauern können sich eine Beziehung zur Erde leisten, sonst gehen sie Pleite. Sie Erde gehört Bauträgern, Maklern, Stadtverwaltungen, Hausbesitzern – kleinen und großen – Industriefirmen, dem Bund, der Bundeswehr und – nicht zu vergessen – der Kirche. Es gibt noch Bauern, aber sie sind gezwungen, als Unternehmer der Landwirtschaftsindustrie zur Erzeugung von Agrarprodukten zu arbeiten. Die Erde wird gefressen: von den wuchernden Großstädten, Industriegebieten, Straßen, Flugplätzen, Militärgebieten, Mülldeponien. Bulldozer, Bagger – immer größer und gewaltiger – schieben sich über die Erde. Die Erde gehört nicht Gott. Was an ihr interessiert, ist ihr Quadratmeterpreis und ihre Bebaubarkeit mit Beton.“   
Die Erde gehört Gott – Ein Kapitel feministischer Befreiungstheologie, Wuppertal 1995, S. 41, 43, 68 und 84–85.

 

Prof. Dr. Eugen Drewermann

„Geld und Zins ‚arbeiten’ gemeinsam zugunsten der Besitzenden. … es kommt jetzt darauf an, das Geld zu sich selbst zu erlösen, ihm seine menschenversklavende, dämonische Kraft zu nehmen man … es entschieden auf das reduziert, als was es ausgegeben wird: ein gesetzlich festgelegtes öffentliches Zahlungsmittel zu sein, in dem sich die unterschiedlichen Werte von Waren gegeneinander verrechnen lassen. …
   Geld könnte ein neutrales Zahlungsmittel nur sein, wenn man auf die Ausnutzung seines ‚Joker-Vorteils’ verzichten würde, und zwar nicht nur auf der Ebene der individuellen Praxis, sondern in der objektiv vorgegebenen Form der Geldwirtschaft selbst. … Statt das Geld mit dem Mittel des Zinses aus der Reserve zu holen, müsste man ihm umgekehrt ‚Beine machen’: statt den Geldbesitzer förmlich dafür zu belohnen, dass er sein Geld wie seinen Privatbesitz zurückhält, um damit gegebenenfalls auf dem Geldmarkt zur Vermehrung seines privaten Besitzes  spekulative Geschäfte zu treiben, könnte eine Liquiditätsabgabe oder ‚Nutzungsgebühr’ den Zins als Umlaufsicherung ersetzen. Das Zurückhalten des Geldes würde mit Kosten verbunden, die nur dann entfallen, wenn das Geld ausgegeben oder auf einem Sparkonto angelegt wird.
   Die Tatsache liegt offen zutage: es sind die Staaten des kapitalistischen Wirtschaftssystems selber, die allein schon aufgrund ihrer horrenden Überschuldung das Zinssystem nicht mehr tragen können, von dem sie selbst zu profitieren glaubten. Mit anderen Worten: es gibt selbst unter rein ökonomischer Perspektive 2000 Jahre nach der Bergpredigt zu der Botschaft Jesu um Umgang mit Geld, es gibt zu den Worten aus Lukas 6.34-35 (‚Leihet, auf dass ihr nichts dafür erhoffet.’) keine Alternative mehr.“
in: Jesus von Nazareth – Befreier zum Frieden, Band 2: Glauben in Freiheit, Zürich und Düsseldorf 1996, S. 474-475 und 498-500.

„Was Luther mit seiner Philippika gegen den Zinswucher wollte, können wir heute ins Ökonomische übersetzen: Es ist nicht nötig, dass wir das Kapital mit Zinsprämien auf den Markt locken. Wir können das Geld flott machen durch das, was merkwürdigerweise Herr Draghi bei der EZB gerade versucht: Er fängt an, durch seine Null-Zins-Politik diejenigen zu bestrafen, die Geld zurückhalten. Sie bekommen nicht nur keine Zinsen bei der Bank; sie erhalten sogar Minuszinsen aufgebrummt, und dann lohnt sich die Geldzurückhaltung, das Horten von Geld, überhaupt nicht mehr. Das läuft fast schon hinaus auf die Gedanken des Freigeldtheoretikers Silvio Gesell.“
„Luther wollte mehr“ - Der Reformator und sein Glaube, Freiburg 2016, S. 289.

„Gleich vor allem bleibt durch die Jahrtausende die Tatsache, dass, wer auch immer Geld mit Zinsaufschlag verleiht, im Fall der Rückzahlung gewinne einstreicht, die er selber nicht durch eigene Arbeit sich verdient, sondern für die er andere arbeiten lässt. ... Umso erstaunlicher mutet es an, dass in der Volkswirtschaftslehre wie ein Dogma durch die Bank die Überzeugung vertreten wird, dass eine zinsfreie Geldwirtschaft undenkbar sei. ...
   Die Grundstruktur des kapitalistischen Umgangs mit Geld zum Zwecke der Geldvermehrung bleibt bei allen Theoriebildungen, den klassischen wie den keynesianischen, unverändert erhalten. ...
   Folglich ist es hohe Zeit, über eine Wirtschaft ohne Zinsnahme nachzudenken und dabei auf Gedanken zurückzugreifen, die vor rund 100 Jahren der deutsch-argentinische Sozialreformer Silvio Gesell in einer Vielzahl von Schriften vorgetragen hat. ... Sowohl die Minuszins-Politik der EZB wie auch die Idee vom Helikoptergeld mutet wie eine schlechte Kopie der Freigeld-Theorie von Silvio Gesell an. ...
   Es macht wenig Sinn, dass sich die Anhänger der Freigeld-Theorie und die Anhänger der Vollgeld-Theorie (weiter) bekriegen. Eine einfache Synthese beider Standpunkte ergibt sich wie von selbst.“
in: Prof. Dr. Eugen Drewermann, Finanzkapitalismus (= Kapital und Christentum Band 2), Ostfildern 2017, S. 140, 157-158, 199, 219 und 343.

Prof. Dr. Hans Kessler

„Der heutige reale Weltmarkt wird vom Kapital beherrscht. Marktwirtschaft und kapitalistische Marktwirtschaft sind nicht dasselbe. Und wer letztere kritisiert, ist damit nicht antimarktwirtschaftlich. Das Marktprinzip lässt sich bei vernünftiger Regulierung mit Gerechtigkeit und Erhaltung der Umwelt versöhnen, der Kapitalismus kaum. … Ein entscheidender Knackpunkt in dem ganzen Problemknäuel von Wirtschaft – Umwelt – Umverteilung ist das System von zins und Zinseszins. Es setzt die Wirtschaft unter einen ständigen Druck zu endloser Expansion und Profitmaximierung. …
   Die Wurzel des geschilderten Übels liegt in der Fehlstruktur unseres Geldsystems und – im unkritischen Glauben an die Fehlerlosigkeit des Zinses. … Mit einem sicheren Gespür für Gerechtigkeit und das Wohl des Ganzen verbietet die Bibel das Zinsnehmen, die große christliche Tradition folgt ihr darin (ähnlich der Koran). Erst seit dem 16. Jahrhundert gibt es zunehmende Aufweichungen. … Dieses Abrücken der Kirchen vom Zinsverbot hat den Aufstieg des modernen Kapitalismus entscheidend begünstigt. Es wird höchste Zeit, dass Kirchen und Sozialethiker umkehren und der Öffentlichkeit wieder den Sinn des Zinsverbots ins Bewusstsein zu bringen, um Gegenkräfte gegen eine aus den Fugen geratene internationale Finanzwelt aufzubauen und Wege zu fördern, die zum Ziel einer umweltverträglicheren (zinsfreien) Marktwirtschaft führen.“
in: Umwelt, Markt, Ethik und Religion  Wege zu einem globalen Umweltethos, in: Gerd Iben (Hg.), Demokratie und Ethik wohin? – Antworten auf die Globalisierung, Münster 1998, S. 93-97 und 123.

 

Carl Amery

„Es gilt, das Geld von seinem Status als Absolutum, als Sakrament zu befreien, es wieder zu einem nüchternen Werkzeug zu machen. … Das globale Finanzwesen ist nach einem ebenso alten wie ruchlosen Prinzip organisiert: dem Prinzip des Zinseszinses. Jeder Hauptschüler mit Taschenrechner kann sofort feststellen, dass dieses Prinzip weltmörderisch ist. Seine Aggressivität ist sozusagen eingebaut. … Dieses Geldsystem wird als selbstverständlich betrachtet. Aber das ist es keineswegs. Es gibt bargeldlose Tauschsysteme; es gibt Rabattsysteme. Es gibt Notgeld wie die Creditos im krisengeschüttelten  Argentinien. Und es gibt darüber hinaus theoretische, ja sogar praktisch erprobte Ansätze, die auf einer gänzlich anderen Perspektive beruhen: Alterndes Geld würde sich abnützen und an Wert verlieren. Es war der Deutschargentinier Silvio Gesell, der diese Theorie systematisch durchdachte. Die krisengeschüttelte Zwischenkriegszeit zwischen 1920 und 1930 sah dann zwei praktische Erprobungen. Beide haben sich durchaus bewährt. … Wörgls Freigeld wurde von der Wiener Staatsbank zu Fall gebracht - Mammon lässt seiner nicht spotten.“
Global Exit – Die Kirchen und der Totale Markt, München 2002, S. 214 und 219-220.

 

Prof. Dr. Thomas Ruster

„Ist der Kapitalismus eine Religion, so wäre ihr Gott das Geld. … Geld ist allgegenwärtig und allmächtig, und es lässt die, die ausreichend über es verfügen, an diesen göttlichen Attributen teilhaben. Es gibt nichts, was von der Macht des Geldes unabhängig wäre. Alles ist für Geld zu haben. … Auf das Geld richten sich die Haltungen, die sonst Gott galten: Vertrauen, Treue, Sicherheit, Geborgenheit, Mut zur Zukunft, Liebe, Hoffnung, unersättliches Begehren. Wo es aber fehlt, herrschen Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit. Geld ist, in den Begriffen der Theologie gesprochen, zum ‚Sakrament der bürgerlichen Gesellschaft’ geworden: das sichtbare Zeichen der unsichtbaren Gnade. Die Verteilung der Lebenschancen, Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit, Reichtum und Armut, Glück und Unglück, gelingendes oder gescheitertes Leben werden vom Geld bestimmt wie früher von der göttlichen Vorsehung. Es vermittelt, wie einstmals die kirchlichen Sakramente, zwischen Immanenz und Transzendenz. Es ist in allem … und es ist über allem als das Absolute, das alles beherrscht und selbst nicht beherrscht werden kann. Geld ist die schlechthin alles bestimmende Wirklichkeit. …
   Geld kann nicht in der Weise Gott sein, wie auf dem Boden der abendländischen Religionsgeschichte gesprochen worden ist. Es ist nicht personal; man kann kein Gebet an es richten. Ihm wird keine ausdrückliche kultische Verehrung zuteil, wie immer man auch die sakral anmutende Architektur der Bank- und Versicherungsgebäude werten mag. … Es gilt also den Kapitalismus zu enträtseln, um die Macht des Geldes und damit auch seine religiöse Valenz zu verstehen.“
Der verwechselbare Gott - Theologie nach der Entflechtung von Christentum und Religion. Freiburg 5. Aufl. 2002, S. 142-144.

„Dieser Religion des Kapitalismus gegenüber ist nur eine entschiedene christliche Gegnerschaft möglich. Die Wirtschaft ist heute das Instrument, dessen der Tod sich bedient, um seine Herrschaft auszuüben; um des lebendigen und Leben schaffenden Gottes willen ist ihr der Kampf anzusagen. Dieser Kampf kann geführt werden durch ein Leben nach den Geboten Gottes, jenen Geboten, von denen es heißt, dass durch sie leben wird, wer sie tut (Lev 18,5). Die Rückwendung zur biblischen Leitunterscheidung Gott/Götter bedeutet zugleich eine Wiederentdeckung der Tora als dem Gesetz des Lebens. Exemplarisch kann man auf die Bedeutung des Zinsverbots als Mittel gegen den mörderischen Wachstumszwang der Wirtschaft verweisen.“
Der verwechselbare Gott. Einführung zu: Felix Senn (Hg.), Welcher Gott? – Eine Disputation mit Thomas Ruster. Luzern 2004, S. 23.

„Das kapitalistische Wirtschaftssystem hat versagt. … Der Gegensatz zum Kapitalismus ist nicht der Sozialismus, sondern eine Wirtschaft, die nicht zu beständigem Wachstum gezwungen ist. …
   Man muss den Blindflug in die Selbstvernichtung nicht einfach mitmachen. Man muss den quasireligiösen Fatalismus überwinden, der dieses Wirtschaftssystem für alternativlos hält, dann kann sich etwas ändern. Man muss zeigen, dass es anders geht. … Ich halte es für durchführbar, ein sekundäres kirchliches Währungssystem nach dem Modell der Alternativwährungen einzuführen, die es ja da und dort schon gibt. Bei einem Kirchentag werden Bons verkauft, die auch nachher noch als Zahlungsmittel dienen. Nach der Theorie des Alternativökonomen Silvio Gesell sind sie umlaufgesichert, d.h. sie verlieren im Laufe der Zeit einen gewissen Teil ihres Werts, so dass sie sich nicht als Geldanlage eignen. Dieses zinslose Geld würde rasch ausgegeben: für Klosterprodukte, Weine aus bischöflichen Gütern, kirchliche Dienstleistungen aller Art. Ein Teil der Gehälter der Kirchenangestellten könnte in dieser Währung ausbezahlt werden. Je nachdem, wie weit man hier die Kreise ökumenisch oder weltkirchlich zieht, ergäbe das schon eine stattliche Sekundärökonomie mit erheblichem Irritationseffekt.“
in: Publik-Forum Nr. 9/2005, S. 19-20.